Forschung
In der Forschung werden Vielfalt und Ungleichzeitigkeit als Kennzeichen europäischer Entwicklungsprozesse zwischen dem späten 18. und dem 20. Jahrhundert in einer globalen Perspektive herausgestellt. Europäische Geschichte bedeutet nicht, in legitimierender Absicht nach dem Europäischen an Europa zu fragen. Ein methodischer Schwerpunkt liegt auf vergleichenden Herangehensweisen: Bekanntes und Selbstverständliches zu verfremden, gängige Hypothesen und nationale historiographische Traditionen zu hinterfragen und neue Fragestellungen hervorzubringen – diese Stärken von Vergleich, Transfer und Verflechtungsgeschichte machen ihre Faszination aus. Neben dem Vergleich liegt ein Schwerpunkt auf kultur- und erfahrungsgeschichtlichen Perspektiven.
Die Professur beteiligt sich an interdisziplinären Verbundprojekten der Philosophischen Fakultät, wie z.B. dem SFB 948. Gleichzeitig bietet sie Raum für eine Reihe von Einzelstudien und setzt auf Offenheit gegenüber einem breiten Spektrum von historischen Frageweisen und Forschungsansätzen.
Laufende Forschungsprojekte
Temporal Practices and Imperial Rule in British Malaya and the Dutch East Indies, ca. 1900-1940
The project wants to investigate the relation between temporal practices (like planning and scheduling) and imperial rule in early twentieth century Southeast Asia by taking a closer look at the rubber industry and its role in the colonial economy.
Zwischen Wahrheit, Halbwahrheit und Unwahrheit. Der Umgang mit der politischen Lüge in Deutschland und Großbritannien 1880–1914
Das Projekt untersucht die Kommunikation über politische Lügen, die Instrumentalisierungen von Lügner-Vorwürfen und die zeitgenössischen Auseinandersetzungen in Parlamenten, Gerichtssälen und Wahlkämpfen über den Wert der Wahrheit in der Politik.
Wissensgeschichte weiblicher Homosexualität (Deutschland und Italien um 1900)
Valentina Escherich untersucht die Kategorie weibliche Homosexualität hinsichtlich ihrer Konstruktion, Popularisiserung und Politisierung in Aushandlungensprozessen über das Strafrecht, die Ehe, die Frauenbewegung und die Prostitution.
Kämpfe um Vergangenheit und Zukunft: Geschichtsdeutung und Utopie in den Arbeiterbewegungen Spaniens und der Habsburgermonarchie, 1890-1914
Das Dissertationsprojekt behandelt Geschichtsdeutungen in der sozialistischen Arbeiterbewegung Spaniens und der Habsburgermonarchie, 1890-1914. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei dem Umgang mit nationaler und imperialer Geschichtspolitik.
Die Beziehungen zwischen Parteien und Schutzvereinigungen in Böhmen und Irland im Vergleich, 1885-1914
Das Projekt untersucht die Interaktion von politischen Parteien und offiziell unpolitischen Schutzvereinigungen, wobei neben Kooperation und Verflechtungsprozessen thematisch und institutionell bedingte Spannungen und Konflikte im Vordergrund stehen.
Die „Wiege der Zivilisation“ als imperiale Destination. Westlicher Tourismus ans östliche Mittelmeer, 1840–1930
Das Habilitationsprojekt untersucht westliche Selbstverortungen im Rahmen der touristischen Erkundung antiker Geschichte und orientalisierter Gegenwarten am östlichen Mittelmeer. Es fragt nach nationalen und sozialen Eigenlogiken, nach Interaktion und Abgrenzung bei der Konstruktion touristischer Destinationen im Zeitalter imperialer Massenkultur.
Gut vertreten? Politische Repräsentationen des „Volkes“ in der Bundesrepublik
Das Projekt erforscht, wie Wähler:innen und Gewählte seit den Anfängen der Bundesrepublik ihre Beziehungen zueinander gestalten. Es fragt nach Selbstinszenierungen und Repräsentationen „des Volkes“ und den zirkulierenden Vorstellungen guter politischer Vertretung vor und nach Beginn des Internetzeitalters.
An den Schnittstellen der Macht. Französische und britische Russlandexperten als politische Akteure in den internationalen Beziehungen (1870-1924).
Das Projekt beschäftigt sich mit der Rolle französischer und britischer Wissenschaftler und Journalisten, die als Wissensproduzenten, mediale Meinungsführer sowie als Berater und inoffizielle Agenten die Russlandpolitik ihrer Länder mitbestimmten.
Autoritätswandel und Globalisierung. Schiedsrichter*innen im modernen Sport, ca. 1850-2000
Das Projekt erforscht die Geschichte der Schiedsrichter im modernen Sport. Dabei untersucht es zum einen den Wandel von Entscheidungsautorität in modernen Gesellschaften, zum anderen perspektiviert es die Regelhüter als Agenten der Globalisierung.
‚Autorität‘ im 20. Jahrhundert
Das begriffsgeschichtliche Vorhaben untersucht den Wandel der Semantik von ‚Autorität‘ im 20. Jahrhundert. Ziel ist der entsprechende Beitrag für das Verbundprojekt „Das 20. Jahrhundert in Grundbegriffen. Lexikon zur historischen Semantik in Deutschland“.
„Die Krisen der Welt 1918-1937/41“
Die Phase zwischen dem langen Ende des Ersten Weltkriegs und den globalen Anfängen des Zweiten Weltkriegs zwischen 1937 und 1941 war mehr als eine Zwischenkriegszeit. Um diese Epoche nicht auf eine Vorgeschichte von Demokratiezerfall und Gewaltsteigerung zu reduzieren, fragt das Buch nach globale Konvergenzen und Divergenzen auf unterschiedlichen Ebenen: von inneren und äußeren Ordnungsversuchen nach 1918, Revolutionen und Gegenrevolutionen im Zeichen einer neuen Utopienkonkurrenz, über globale Herausforderungen und Resilienzerfahrungen von Kapitalismus und Demokratie bis zu kulturellen Aufbrüchen und Medien der Weltwahrnehmung.
Staatenlosigkeit in der Weimarer Republik
Anna Mashi analysiert Staatenlosigkeit als gemachte, veränderliche Kategorie im Feld zwischen Verwaltung, Menschenrechten und Humanitarismus. Im Fokus stehen Aushandlungsprozesse zwischen Staat und Völkerbund sowie der Einfluss privater Lobbygruppen.
Deutschland besetzen, Frankreich repräsentieren? Algerische, tunesische und marokkanische Soldaten in der französischen Armee in der FBZ
Das Projekt untersucht im Kontext der Dekolonisierungen die Erfahrungen von Soldaten der französischen Armee, welche aus den (ex-)Protektoraten Marokko und Tunesien sowie den (ex-)Départements Algeriens stammen, als Besatzer in Deutschland.
Das Demokratische vermessen – Politikwissenschaft und Öffentlichkeit in der Bundesrepublik (1949–1989)
Das Projekt untersucht die Auftritte von Politikwissenschaftlern in westdeutschen Medien. Es fragt nach den auf diese Weise vermittelten Begriffen von der zweiten deutschen Demokratie und wie diese im Austausch mit der Bevölkerung ausgehandelt wurden.
Teuerung und soziale Demokratie in Frankreich, 1918-1937
Anhand zeitgenössischer Konflikte um hohe Lebenshaltungskosten (die sogenannte vie chère) untersucht das Projekt die Verschiebungen in den Vorstellungen von Kapitalismus und Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg und fragt nach der Bedeutung von Konsum als Form ökonomischer Teilhabe für die Legitimität der französischen Demokratie.
US-amerikanische Stiftungen im Europa des 20. Jahrhunderts
Das Habilitationsprojekt bearbeitet eine Kernphase moderner globaler Wissenschaftsdiplomatie, die finanzstarke US-amerikanische Stiftungen mitunter aus hegemonialer Ratlosigkeit vor dem Hintergrund zweier Weltkriege im europäischen Zeitalter der Extreme betrieben.
„Eppure l’Africa ci è necessaria.“ Koloniale Zukunftsvorstellungen in der Società Geografica Italiana 1867–1920
Das Projekt möchte erklären, warum die Geographische Gesellschaft zu einem starken Fürsprecher für einen italienischen Kolonialismus in Afrika wurde und wie die sich wandelnden kolonialen Zukunftsvorstellungen der Mitglieder die Entwicklung sowohl der Gesellschaft als auch der italienischen Kolonialpolitik in Afrika beeinflussten.
Demokratie als Bildungsprojekt? Die Reichszentrale für Heimatdienst und Volkshochschulen in der Weimarer Republik
Das Dissertationsprojekt untersucht Ideen, Konzeptionen und Praktiken zeitspezifischer Demokratievermittlung mit Blick auf Potentiale und Grenzen politischer Bildungsarbeit zur Stabilisierung der Weimarer Republik.
Fremdheit und monarchische Herrschaft: Die transnationale Monarchie im Zeitalter des Nationalismus 1815-1927
Das Projekt untersucht das Phänomen fremdnationaler MonarchInnen im 19. Jahrhundert, dem Ersten Weltkrieg und der Zwischenkriegszeit. Die europäisch vergleichende Analyse erklärt deren Identität, Legitimation und internationale Wahrnehmung im Kontext des anwachsenden Nationalismus.
Nationalismus in Deutschland, Großbritannien und Frankreich, 1945-2020 – Eine Diskurs- und Alltagsgeschichte
Das Projekt untersucht Nationalismus in Deutschland, Großbritannien und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg. Die vergleichend vorgehende Arbeit fokussiert sich dabei auf gesellschaftliche Diskurse, nationalpolitische Maßnahmen und alltägliche Praktiken.
Rural Cultures of Innovation and the Emergence of European Capitalism.
In order to improve our understanding of the emergence of sustained economic growth in 18th and 19th century Europe, this project inquires rural cultures of innovation focusing on clock and watch making in the Black Forest and the Jura.
Abgeschlossene Forschungsprojekte
Abgeschlossene Dissertationen und Habilitationen
Dissertationen
- Axel Dröber: Nation, Militär und Gesellschaft im postrevolutionären Frankreich: Zur politischen und gesellschaftlichen Bedeutung der französischen Nationalgarde (erschienen 2022 bei Heidelberg University Publishing)
- Konrad Hauber: Sichtbare Geheimnisse. Optische Telegrafie in Westeuropa, ca. 1790-1850
- Andrés Antolín Hofrichter: Fremde Moderne. Wissenschaftspolitik, Geschichtswissenschaft und Nationalnarrative unter dem Franco-Regime, 1939-1964 (erschienen 2018 bei De Gruyter Oldenbourg)
- Andrea von Hohenthal: Griff nach der Psyche? Psychologie im Ersten Weltkrieg in Großbritannien und Deutschland (erschienen 2023 bei Brill)
- Anna Laiß: Die harkis in der Fünften Französischen Republik (1958-2007). Zwischen republikanischem Ideal und kolonialen Kontinuitäten. (erschienen 2021 bei Heidelberg University Publishing)
- Benjamin Marquart: Held – Märtyrer – Usurpator. Der europäische Napoleonismus im Vergleich (1821–1869) (erschienen 2019 im Ergon-Verlag)
- Sarah Panter: Zwischen jüdischer Solidarität und staatsbürgerlicher Loyalität - Jüdische Kriegserfahrungen während des Ersten Weltkriegs (erschienen 2014 bei Vandenhoeck & Ruprecht)
- Friedemann Pestel: Raumwandel und Wendezeiten. Französische Revolutionsmigranten als europäische Akteure (erschienen 2015 bei De Gruyter Oldenbourg)
- Fabian Rausch: Verfassungsgeschichte als Interpretationsgeschichte der Revolution. Zur Verfassungskultur in Frankreich 1814-1851 (erschienen 2018 bei De Gruyter Oldenbourg)
- Stefan Schubert: Von der militärischen zur politischen Heroisierung: Paul von Hindenburg und Philippe Pétain im Vergleich.
- Florian Wagner: Colonial internationalism : how cooperation among experts reshaped colonialism (1830s-1950s). (erschienen 2022 bei Cambridge University Press)
Habilitationen
- Theo Jung: Qui tacet: Die Politik des Schweigens im Europa des langen 19. Jahrhunderts
- Sonja Levsen: Autorität und Demokratie. Eine Kulturgeschichte des Erziehungswandels in Westdeutschland und Frankreich, 1945-1975 (erschienen 2019 im Wallstein Verlag)
- Friedemann Pestel: Global Players: Orchestertourneen und internationaler Musikbetrieb 1880-2000
Verbundprojekte
- Graduiertenkolleg 1767 "Faktuales und Fiktionales Erzählen"
- Graduiertenkolleg 2571 "Imperien: Dynamischer Wandel, Temporalität und nachimperiale Ordnungen"
- SFB 948 Helden - Heroisierungen - Heroismen
Buchpublikationen
Prof. Dr. Jörn Leonhard
Der überforderte Frieden. Versailles und die Welt 1918-1923, C.H. Beck 2018. | |
Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs (Paperback), C.H. Beck, 2018. | |
Pandora’s Box. A History of the First World War, Harvard University Press, 2018. | |
Semantiken von Arbeit: Diachrone und vergleichende Perspektive, hg. von Jörn Leohard und Willibald Steinmetz, Böhlau-Verlag: Köln/Weimar/Wien 2016. | |
Liberalismus im 20. Jahrhundert, hg. von Jörn Leonhard und Anselm Doering-Manteuffel, Steiner-Verlag: Wiesbaden 2015. |
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Vergleich und Verflechtung. Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert, hg. von Jörn Leonhard (Studien des Frankreich-Zentrums der Universität Freiburg, Bd. 22), Erich Schmidt Verlag: Berlin 2015. |
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Menschen im Krieg 1914-1918 , Verlag W. Kohlhammer: Stuttgart 2014 |
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Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs, Verlag C. H. Beck: München 2014. Aktualisierte 5. Auflage im Handel erhältlich |
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Comparing Empires. Encounters and Transfers in the Nineteenth an Early Twentieth Century, ed. together with Ulrike von Hirschhausen, Schriften der FRIAS-School of History, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen² 2012. | |
Militär und Medien im 20. Jahrhundert (Themenheft der Militärgeschichtlichen Zeitschrift, Vol. 70/1), hg. von Ute Daniel und Jörn Leonhard und Martin Löffelholz, München 2011. | |
What makes the nobility noble? Comparative Perspectives from the Sixteenth to the Twentieth Century, hg. zusammen mit Christian Wieland, Schriften der FRIAS-School of History, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen, 2011. | |
Koloniale Vergangenheiten – (post)imperiale Gegenwart, hg. zusammen mit Rolf Renner (Studien des Frankreich-Zentrums der Universität Freiburg, Bd. 19), Berliner Wissenschaftsverlag GmbH (BWV): Berlin 2010. | |
Empires und Nationalstaaten im 19. Jahrhundert, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen² 2010. | |
Bellizismus und Nation. Kriegsdeutungen und Nationsbestimmung in Europa und den Vereinigten Staaten 1750-1914 (Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit, hg. von Dietrich Beyrau, Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael, Bd. 25), Oldenbourg Verlag: München 2008. Werner-Hahlweg-Preis (1. Preis), 2006 Preisträger im Wettbewerb "Historisches Buch des Jahres 2008" in der Kategorie Neuere Geschichte (HSOZKULT), 2009 Landesforschungspreis des Landes Baden-Württemberg 2010 |
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Multi-Ethnic Empires and the Military: Conscription in Europe between Integration and Desintegration, 1860-1918 (Journal of Modern European History 5/2), hg. zusammen mit Ulrike von Hirschhausen, Verlag C.H. Beck: München 2007. | |
Ten Years of German Unification. Transfer, Transformation, Incorporation, hg. zusammen mit Lothar Funk, Birmingham University Press: Birmingham 2002. | |
Nationalismen in Europa: West- und Osteuropa im Vergleich, hg. zusammen mit Ulrike v. Hirschhausen, Wallstein Verlag: Göttingen 2001. | |
Liberalismus - Zur historischen Semantik eines europäischen Deutungsmusters (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, hg. von Peter Wende, Bd. 50), Oldenbourg Verlag: München 2001. Forschungspreis des Deutschen Historischen Instituts London, 1998 Wolf-Erich-Kellner Forschungspreis der Friedrich-Naumann-Stiftung Bonn, 1999 |
Dr. Claudia Gatzka
Die Demokratie der Wähler. Stadtgesellschaft und politische Kommunikation in Italien und der Bundesrepublik 1944-1979, Düsseldorf 2019. |
Dr. Friedemann Pestel
Kosmopoliten wider Willen. Die monarchiens als Revolutionsemigranten (Pariser Historische Studien 104), Berlin/Boston 2015. | |
Weimar als Exil. Erfahrungsräume französischer Revolutionsemigranten 1792-1803 (Transfer. Deutsch-Französische Kulturbibliothek 28), Leipzig 2009. |